Of noisy buildings and silent trains.

Germany | Urban Stroll | 2018

  • Text - Manuel Fromm | Photos - Jonathan Danko Kielkowski

One day. One damn day and the discussion resolved itself. What was it about anyway? I only recalled a fraction of my co-walker’s detailed descriptions as I was overwhelmed by the sight of the fragmented building. It looked as if a bomb had hit it. Later we found out that it had been the work of one man, one excavator, one day. I can only imagine that he had great fun doing it, eating his way through the concrete structure with his oversized pliers. It crackles and rattles around him while he is sitting safely in his cockpit directing the massacre. I feel like it is an innate man thing to have fun demolishing. Although, it might have been a woman. Would she destroy more tenderly? Is that even possible? Whatever, I’m getting off the subject. It’s best to start at the beginning. Does anybody remember Eschede? No? Eschede was the place where the most serious train accident of german post war history happened in 1998. It was triggered by a broken tire that jumped off, made its way through the floor of one of the train compartments and remained stuck there. Shortly before reaching Eschede, this stuck tire tore off the check rail of a switch, now also stuck in the floor of the compartment. Thereby lifting the axle off the tracks, triggering the disastrous accident, causing all following compartments to be pushed into one another like a zigzag. Consult other sources for a detailed description of the accident.

Einen Tag. Einen verdammten Tag und die Diskussion hatte sich erledigt. Worum ging’s da überhaupt? Ich habe von den Ausführungen meines Mitspaziergängers nur einen Bruchteil in meinem Kopf behalten können, da ich von dem Anblick des fragmentierten Gebäudes schier überwältigt wurde. Als hätte eine Bombe eingeschlagen. Wie wir später erfuhren war es das Werk eines Mannes, eines Baggers, eines Tages. Ich kann mir vorstellen, dass der Baggerfahrer tierischen Spass dabei hatte sich mit seiner übergroßen Zange durch die Betonkonstruktion zu fressen. Um ihn herum kracht und scheppert es und er sitzt behütet in seiner Kanzel und dirigiert das Massaker. Freude an Zerstörung ist Männern wohl angeboren. Obwohl, es könnte auch eine Frau gewesen sein. Ob diese dann zärtlicher zerstört? Geht das überhaupt? Egal, ich schweife ab. Am besten ich fange am Anfang an. Erinnert sich noch jemand an Eschede? Nein? In Eschede hat sich im Jahr 1998 das schwerste Zugunglück der deutschen Nachkriegsgeschichte ereignet. Ausgelöst wurde es durch einen gebrochenen Radreifen. Dieser sprang ab, bohrte sich durch den Boden eines der Abteile und blieb dort stecken. Durch diesen feststeckenden Radreifen wurde kurz vor Eschede der Radlenker einer Weiche abgerissen und bohrte sich ebenfalls in den Boden des Zuges. Dadurch wurde der Achsenkörper aus den Gleisen gehoben und das sorgte so für den katastrophalen Unfall, bei dem sich die nachfolgenden Wagen im Zickzack ineinandergeschoben haben. Für eine genauere Beschreibung des Unfallhergangs bitte andere Quellen zurate ziehen.

I was rather dumbfounded when I was told that the very wagon which had triggered the accident in Eschede is located right around the corner at the railway area behind the old freight station in Nuremberg, just rotting away. No, I lied. Eschede… hmm, what was that again? Around the time of the accident I was twelve and had other things than train accidents or the like on my mind. 101 people lost their lives that day, 88 were severely injured… too bad, isn’t it? I’ll go play soccer now, see ya. Could have been a disaster movie. In the moment of the events you just take in the information. Until that information gains meaning some time may pass, especially when you’re a kid. In my case it took 19 years between information and meaning. In any case, after some research, the decision was made to go and pay a visit to the wagon in question.

Ich fiel beinahe aus allen Wolken, als ich erzählt bekommen habe, dass eben jener Wagon, von dem der Unfall in Eschede ausgegangen ist auf dem Bahngelände hinter dem alten Güterbahnhof in Nürnberg vor sich hingammelt. Nein, stimmt gar nicht. Eschede… Eschede… Hm, was war da noch? Zur Zeit des Unfalls von Eschede war ich gerade in meinem 12. Lebensjahr und hatte andere Dinge im Kopf als mich um Zugunglücke und dergleichen zu sorgen. 101 Menschen sind gestorben und 88 wurden schwer verletzt… Ja blöd, nicht? Ich geh` Fußballspielen und tschüss. Es hätte sich dabei auch um einen Katastrophenfilm handeln können. In dem Augenblick des Geschehens kann man solche Ereignisse nur als Information wahrnehmen. Bis diese Information Bedeutung erlangt, kann mitunter einige Zeit vergehen, vor allem wenn man noch ein Kind ist. In meinem Falle liegen zwischen Information und Bedeutung 19 Jahre. Auf jeden Fall wurde nach einer kurzen Recherche beschlossen besagtem Unfallabteil einen Besuch abzustatten.

Goddamnit, I made a rookie mistake. Why did I leave my water bottle in the car? I am so freaking thirsty. That thought quickly disappeared after a surprisingly easy entry to the premises when we stood in front of the ruins of the transfer station. The apocalyptic landscape was inviting to explore excessively. While remains of burst safety glass was grinding under our feet we advanced step by step, less and less carefully towards the heart of the described scenery. An adventure playground for adults. With the exception that the risk of either being caved in somewhere or getting speared with something increased with every step. The pillars are lopsided. From the sidelines one could perceive the scenery as a jump and run game whereas in our case it was better described as walk and climb. With the option of permadeath (as it turns out, it was not even that far from us (have I already mentioned the lopsided pillars?)).

Oh man, ich bin so doof. Was für ein scheiß Anfängerfehler. Warum hab ich meine Wasserflasche im Auto gelassen? Ich hab` sau Durst. Als wir nach einem erstaunlich leichten Einstieg in das Gelände vor den Ruinen der alten Umladestation standen, trat dieser Gedanke schnell in den Hintergrund. Die apokalyptische Trümmerlandschaft lud zum ausufernden Erkunden ein. Während unter den Füßen die Überbleibsel von schon zerborstenem Sicherheitsglas knirschten, tasteten wir uns Schritt für Schritt immer weniger vorsichtig gen Herz besagter Szenerie. Ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Nur, dass man bei einem großen Prozentsatz der Schritte, die man tut, Gefahr läuft irgendwo einzubrechen oder sich mit irgendwas aufzuspießen. Die Säulen sind schief. Man könnte die ganze Szenerie von der Seite auch als Jump and Run wahrnehmen, nur dass das Genre in unserem Fall eher als Walk and Climb zu bezeichnen wäre. Mit der Option des Permadeath (der wie sich später herausstellte gar nicht so weit von uns weg war (hatte ich die schiefen Säulen schon erwähnt?)).

Shit. Shit. Shit. Shit. Act normal! Behave as if you are supposed to be here and everything is totally okay! One of the site security guys just got out of his car and is coming towards us. We are demonstratively taking some photos. When holding a reasonably professional looking camera you can afford to do almost anything. A really nice person, that security guy, not like other security guys. He abstained from filing a report. Great! Luckily there was no strong wind that day. That would have considerably increased the probability of being struck dead by falling glass plates. The rest of the roof construction was held up by columns whose angle reminds us of a certain Italian tower. There is an immediate danger to life. During the whole conversation we are standing in this dangerous hall, ready to collapse. Pointless!

Shit. Shit. Shit. Shit. Verhalte dich ganz natürlich! Tu so als gehörtest du hier her und es wäre alles in bester Ordnung! Ein Vertreter der Geländesecurity ist soeben aus seinem Auto ausgestiegen und kommt uns entgegen gelaufen. Wir schießen demonstrativ Fotos. Wenn man eine einigermaßen professionell aussehende Kamera in der Hand hält, kann man sich fast alles erlauben. Ein wirklich netter Mensch, dieser Securitymensch, gar nicht so wie andere Securitymenschen. Er sieht von einer Anzeige ab. Mensch, toll! Zum Glück ging an dem Tag kein starker Wind. Dieser hätte die Wahrscheinlichkeit von einer herunterfallenden Glasplatte erschlagen zu werden doch erheblich erhöht. Die übrig gebliebene Dachkonstruktion wird von Säulen gehalten, deren Winkel an einen gewissen italienischen Turm erinnert. Es herrscht akute Lebensgefahr. Während des Gespräches bleiben wir in der einsturzgefährdeten Halle stehen. Sinnlos!

Line pole. House. Tree. Line pole. Cow. Tree. Line pole. House. Boy, am I bored. Honey, do you have the new Follet with you, what was it again? The third twin. Oh yes, do you have it? Yes, here you go. Will you shut up back there, who can concentrate with all that screaming! Kids are so annoying, luckily I don’t have any. Rising above the kids’ screams is a grinding scraping sound from under my feet, like metal grinding against metal. The train compartment is vibrating. The playful tone of the screaming is now turning fearful. Older nuances mix in and become a homogeneous mass. The base I am sitting on is being eliminated. The sound of legions of breaking bones is covered by the grinding of the train. The interior of the compartment cannot be distinguished from the passengers anymore. A red lump of flesh and plastic. The screams cease. Thundering silence.

Oberleitungsmast. Haus. Baum. Oberleitungsmast. Kuh. Baum. Oberleitungsmast. Haus. Alter, ist mir langweilig! Schaaatz, hast du den neuen Follet dabei, wie hieß der noch? Der dritte Zwilling. Ah ja, hast du ihn dabei? Ja, hier bitte. Jetzt haltet mal die Fresse da hinten, bei dem Geschrei kann sich ja keiner konzentrieren! Kinder sind so was von nervig, zum Glück habe ich keine. Aus dem Gekreisch der Kinder erhebt sich unter mir ein Schaben, als würde Metall über Metall schleifen. Das Zugabteil vibriert. Die Klangfarbe des Schreiens wandelt sich von spielerisch zu angsterfüllt. Ältere Nuancen stimmen ein und vermischen sich zu einer homogenen Masse. Mir wird die Grundlage meines Sitzens entzogen. Das Geräusch Legionen brechender Knochen wird überdeckt durch das Malmen des Zuges. Die Einrichtung des Abteils ist nicht mehr von dessen Fahrgästen zu unterscheiden. Ein roter Klumpen aus Fleisch und Plastik. Die Schreie erliegen. Tosende Stille.

How many people would mourn for me, had I died here? In my head the image emerges to model the social environment according to Bohr’s atomic model, with orbits of varying distances from the center. What corresponds to the Neutron/Proton in the center (or even smaller particles) and under which circumstances the pendant of the electrons change the orbits would take us too far out of the way in this article and shall be discussed another time. Thus I am the center in my model and all people I know are positioned on orbits in varying distances around me. On the first orbit are my parents, whose default number is two, and some other people I have close relationships with. The next orbit is made up by relatives and close friends amounting to approximately forty people. You would find acquaintances and work colleagues on the third. I wouldn’t be so sure about the degree of sadness caused by the death of my humble self in regards to the third orbit, that is why I shall not consider them any further. They might drop a socially acceptable phrase and continue on with their daily matters. What do you expect when they lack a connection to my true self? Thus I assume that about 50 people would sincerely mourn my death. (I shall use m/d = mourner per death as a measurement unit from now on). Is that a realistic number for others as well? Perhaps the numbers might differ on the first and second orbit for many people however 50 seems to be a good total of m/d. Subsequently the train accident in Eschede created 50m/d * 101d = 5050 m.

Wie viele Menschen würden, wenn ich hier gestorben wäre, wahrlich um mich trauern? In meinem Kopf entsteht die Vorstellung das soziale Umfeld nach dem Bohrschen Atommodell mit seinen vom Kern verschieden weit entfernten Kreisbahnen zu modellieren. Was in dem Kern dem Neutron/Proton entsprich (oder noch kleineren Teilchen) und unter welchen Umständen das Pendant der Elektronen die Kreisbahn wechselt führt innerhalb dieses Artikels zu weit und wird an anderer Stelle erörtert werden. In meinem Modell bin ich also der Kern und alle Personen, die ich so kenne stehen auf Kreisbahnen in verschiedenem Abstand um mich herum. Auf der ersten Kreisbahn stehen meine Eltern, deren Anzahl standardmäßig zwei ist und weitere mir sehr nahe stehende Personen. Auf der nächsten sind Verwandte und enge Freunde anzutreffen, was so an die 40 Leute sein werden. Auf der Dritten finden sich Bekannte und Arbeitskollegen ein. Bei der dritten Kreisbahn bin ich mir um den Grad der Trauer durch den Tod meiner Wenigkeit nicht ganz sicher, deshalb lasse ich diese in weiteren Betrachtungen außen vor. Wahrscheinlich lassen sie eine sozial akzeptierte Phrase los und gehen dann weiter ihrem Tagesgeschäft nach. Wie sollte es auch anders sein, wenn der Bezug zu meinem wahren Selbst fehlt? Also schätze ich mal, dass bei meinem Tod so an die 50 Menschen ernsthaft um mich trauern würden. (Als Einheit werde ich im Folgenden „mourner per death“ verwenden: m/d). Ist das auch für Andere eine realistische Zahl? Wahrscheinlich ist die Anzahl auf der ersten und zweiten Kreisbahn bei vielen Personen jeweils anders aber 50 scheint mir eine gute Gesamtzahl an m/d. Folglich hat das Zugunglück von Eschede 50m/d * 101d = 5050 m erzeugt.

We are striding through the edge of the forest diving into the atmosphere of incredible grief. There is no transition, no preparation, as if the area of impact is marked exactly by the limits made up of forest and fence surrounding the premises. The compartment is inconspicuously buried under a cover. We approach it carefully. The dimensions of the hole in the floor do by no means meet the extent of the catastrophe. We continue on through the stripped and disemboweled compartment. Not much is left of the once prestigious German art of engineering except a decaying shell full of trash. Left there to rot and be forgotten. Parallels to retirement homes could be drawn. Oh, a hornets’ nest! 

Wir schreiten durch die Waldlinie hindurch und tauchen ein in die Atmosphäre tausendfacher Trauer. Es gibt keinen Übergang, kein Vorbereiten, als wäre der Wirkungsbereich exakt durch die, das Grundstück umgebenen Begrenzungen bestehend aus Wald und Zaun abgesteckt. Das Abteil ist unscheinbar unter einer Plane begraben. Wir nähern uns vorsichtig. Die Ausmaße des Lochs im Boden des Abteils werden der Dimension der Katastrophe in keinster Weise gerecht. Wir arbeiten uns weiter durch das bis aufs Skelett ausgeweidete Abteil. Von dem einstigen Prestigestück deutscher Ingenieurskunst ist nicht viel mehr übrig geblieben als eine vermodernde zugemüllte Hülle. Zum Verrotten abgestellt und vergessen. Es ließen sich Parallelen zu Altenheimen ziehen. Oh, ein Hornissennest!

And…and then we were like sitting down in the forest and unpacking the drone…and…and then it went up like extremely fast and extremely high and we could like see everything! We were  like sooooooo small. And…and then we…we flew around with it like very fast and to some tower, too. That was like totally cool! And then it started to rain and we returned home.

Und…und dann haben wir uns in den Wald gesetzt und voll die Drohne ausgepackt…und…und die ist voll schnell voll hoch geflogen und man konnte Alles sehen! Wir waren nur noch sooooooo klein. Und…und dann sind…sind wir voll schnell damit herumgeflogen und auch zu so einem Turm. Das war voll cool! Und dann hat es angefangen zu regnen und wir sind wieder nach Hause gegangen. 

Veröffentlicht am 21.09.2018 von Manuel From

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