Chimney Climbing

Germany | Story | 2011

  • Date2011
  • LocationNürnberg, Germany
  • CATEGORYStory
  • TEXTBianco
  • Images & VideoBianco
  • TranslationPending
  • AboutFrom the archives. A short story from a men who climbed the old Tucher brewery chimney before it was blown up. Originally published on www.gesichterderstadt.wordpress.com in the year 2011.

Nur noch die letzten beiden Stufen, dann ein beherzter Griff um die Kante – au weia, wo halte ich mich da eigentlich fest??? – und es bietet sich ein herrlicher Ausblick über ganz Nürnberg. Bereits vor einer Woche hätte sich dieser bieten sollen, aber das Wetter war nicht halb so gut wie heute und eine ganze Reihe anderer Probleme hatten letztendlich dazu geführt, dass das Projekt „Tucher-Kamin“ zunächst scheiterte, obwohl alles gut geplant erschien: Als Sicherungspartner hatte Jörg zugesagt, Taschenlampen, Seil, Gurt, Schlingen, Karabiner und ein großes Stofftuch als Unterlage für das Seil waren im Rucksack verstaut und der Ort des Geschehens wird „problemlos erreicht“. Wir richten uns im Kamin häuslich ein und bereiten alles vor, dann noch einmal durchschnaufen und los geht es… Die ersten Stufen bis auf eine Höhe von ca. 7 Meter winden sich zunächst etwa eine viertel Umdrehung im Kamin empor, was beim Hochklettern äußerst unangenehm ist. Glücklicherweise geht es danach senkrecht nach oben und ich lege die erste Zwischensicherung um eine Trittstufe. Die Stufen sind alle bombenfest, frohen Mutes steige ich weiter nach oben und lege ungefähr alle fünf Meter eine weitere Zwischensicherung. Gelegentlich dringt von unten unbegeistertes Gemurmel zu mir herauf, was darauf hindeutet, dass wieder mal ein Schwung Sand, der auf fast allen Trittstufen liegt, unten angekommen ist. Ich versuche, ganz vorsichtig zu greifen und zu treten… In einer Höhe von ca. 45 Metern ist die Reise allerdings erst einmal zu Ende: das Seil ist tatsächlich zu kurz… Ich fixiere mich an einer Stufe und überlege eine Weile. Die Verständigung im Kamin ist trotz meiner Höhe erstaunlich gut und wir besprechen die missliche Lage. Schließlich binde ich mich aus dem Seil aus und steige im Klettersteigstil weiter: ein Karabiner in der linken Hand, einer in der rechten Hand. Von Stufe zu Stufe sichere ich mich weiter nach oben. Auf den letzten schätzungsweise 8 bis 10 Metern sind sogar Stufen eingebaut, die wie frisch aus dem Laden aussehen. Auch besteht die Innenseite des Kamins in diesem Bereich aus völlig anderen Ziegeln – offensichtlich wurde der Schlot irgendwann einmal erhöht. Ich gebe fröhlich die Anzahl der verbleibenden Stufen nach unten weiter, doch dann – zwei Stufen vor dem Ziel – weicht die Fröhlichkeit schlagartig: die letzten beiden Stufen wackeln… Ich verschnaufe etwas und verdränge eine leichte Panikattacke, die in mir aufkommt: Wenn die Stufen, an denen ich gesichert bin, herausbrechen sollten, geht es 60 Meter nach unten… Ziemlich schnell entscheide ich ziemlich enttäuscht, wieder abzusteigen… Zwei Stufen vor dem Ziel… Eine Woche später: strahlend blauer Himmel, frühlingshafte Temperaturen, Jörg als Sicherungsmann wieder dabei, ein 60 Meter langes Seil und zusätzliche Schlingen und Karabiner von Jauli geliehen. Und lustigerweise sind wir nicht die einzigen, die an diesem Wochenende auf dem Tucher-Gelände unterwegs sind – wir treffen Danko, der ebenfalls den Abriss der Brauerei dokumentiert und dessen Blog ich schon seit längerer Zeit kenne und schätze. Schön, dass es auch noch junge Leute gibt, denen der Erhalt von historischen Gebäuden am Herzen liegt. Dann das gleiche Spielchen wie letzte Woche – nur diesmal scheint das Seil bis oben zu reichen. Und dank Jauli kann ich unterhalb der beiden klapprigen Stufen noch viele Zwischensicherungen anbringen, so dass selbst im schlimmsten Fall nichts passieren kann. Ich greife um die Kante und bin ziemlich erstaunt, wie filigran der Kaminkopf gemauert ist: eine einzige Ziegelreihe liegt waagerecht auf einer senkrecht gemauerten Ziegelreihe auf, bevor der Kamin erst unter diesen beiden Reihen deutlich dicker wird. Mit etwas Herzklopfen schaue ich aus dem Schlot heraus und bin vom Ausblick erst mal überwältigt. Und überrascht, wie viel man dort oben auf dem Kamin hört – das Geplauder der Spaziergänger, eine Fahrradklingel, das Zuschlagen einer Autotür und dann ruft plötzlich auch noch einer „Hallo!“. Der meint aber zum Glück nicht mich…

Von oben kann man den Fortschritt der Abrissarbeiten gut einschätzen. Nun hat man vom Wasserturm ja schon einen ziemlich guten Überblick, aber selbst der Wasserturm erscheint von hier oben fast schon winzig. Ich mache zunächst mit der Videokamera ein paar Aufnahmen, was sich gar nicht so leicht gestaltet. Der Kamin hat auch oben noch einen beachtlichen Durchmesser und damit er nicht im Bild ist muss ich mit ganz ausgestrecktem Arm umherschwenken. Dann mache ich noch eine ganze Reihe Fotos in alle Richtungen. Leider ist die Zeit wieder mal viel zu schnell vergangen und die Sonne steht schon sehr tief, so dass das Fotografieren nach Westen unmöglich ist. Erst nach einer Weile kann ich mich von dem schönen Ausblick trennen und erreiche wieder wohlbehalten den Boden.

Eigentlich war vor der Sprengung noch ein weiterer Ausflug auf den Kamin geplant, aber es hat irgendwie nie wieder richtig klappen wollen. Entweder lag es am schlechten Wetter oder am nicht verfügbaren Sicherungsmann. So bleibt es nun also beim verwackelten Video und der inzwischen freistehende Wasserturm konnte auch nicht mehr von oben fotografiert werden. Und somit bleibt das Projekt „Tucher-Kamin“ auch das, was es war: einmalig.

Bianco.

Veröffentlicht am 28.07.2015 von Jonathan Danko

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