Hauptpost Kopfbau

Germany | Development | 2011-2018

  • Text - Sebastian Gulden | Photos - Jonathan Danko Kielkowski

Vom Verschwinden eines Denkmals, das keines sein durfte

Mit dem Abbruch des Kopfbaus der ehemaligen Hauptpost verlor Nürnberg 2018 einen bedeutenden Teil seiner Geschichte und seines Stadtbildes. Eine Inkunabel der neusachlichen Architektur in Nürnberg, das an die avantgardistische Baukunst der Münchener Postbauschule um Robert Vorhoelzer anschloss, ein Ort, an dem sich die Konfrontation und das Miteinander des alten und des modernen Nürnberg, die Modernität der Weimarer Republik und die Rückwärtsgewandtheit des Nationalsozialismus manifestierten – entsorgt auf dem Schutthaufen der Geschichte.

 

Der Kopfbau war nicht das erste Postgebäude an dieser Stelle: Schon 1861 bis 1862, 15 Jahre nach Vollendung des ersten Nürnberger Hauptbahnhofes, errichtete die Königlich-Bayerische Postverwaltung auf dem freien Grundstück direkt östlich des Empfangsgebäudes ein dreiflügeliges Amtsgebäude, das – wie der benachbarte Bahnhof – außen im Stil der Neugotik gestaltet war. Ende des 19. Jahrhunderts kam ein eigener Postverladebahnhof im Stil der Neorenaissance hinzu (an seiner Stelle steht heute das DB Parkhaus).

 

70 Jahre später genügte das Gebäude den räumlichen Ansprüchen der Post und dem städtebaulichen Kontext der inzwischen stark gewachsenen Stadt Nürnberg nicht mehr.

Oberpostbaurat Johann Kohl, der zuvor unter anderem das Postscheckamt an der Keßlerstraße und das Selbstanschlußamt West an der Rothenburger Straße entworfen hatte, schuf 1931 zusammen mit Friedrich Deyerl, Wilhelm Erhard und Walter Kreb eine moderne Landmarke, die außen wie innen anzeige sollte, dass die Pegnitzmetropole in der Moderne angekommen war – eine zeitgenössische Konfrontation mit und ein modernes Gegenstück zur Altstadt und der Stadtmauer mit ihren historischen Bauten. Das Tragwerk des kubischen Baus bestand vollständig aus Stahl mit vorgehängten Fassaden. Ein flaches Dach sollte den Turm nach oben hin abschließen, breite Fensterbänder in den Obergeschossen und großflächige Panoramafenster im Erdgeschoss die Schalterhalle und die Büroräume mit Licht geradezu durchfluten.

 

Klarheit, Transparenz, schwerelose Eleganz – der Neubau sollte Akzente setzen, nicht nur in der Höhe, sondern in seiner Gestaltung. Die Bezeichnung „Kopfbau“ unterstreicht den repräsentativen städtebaulichen Anspruch des Neubaus, der fernwirksam am Blockrand des Karrees zwischen Allersberger Straße, Bahntrasse, Bahnhofsplatz und Bahnhofstraße lag.

 

 

Entwurf 1931 © Stadtarchiv Nürnberg

Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht im Deutschen Reich und auch in Nürnberg übernahmen, stand gerade erst das Stahlgerüst des Neubaus. Es dauerte nicht lange, bis die neuen Machthaber den ursprünglichen Entwurf für die Außengestaltung kassierten. Dass die Fassaden nur Verblendung waren, machte ihnen den Eingriff leicht. Während im ganzen Reich die Protagonisten des Neuens Bauens und ihre Schöpfungen mit Feuer und Flamme bekämpft wurden, kam in Nürnberg der Hass der Rechtsradikalen auf den früheren linksliberalen Oberbürgermeister Hermann Luppe und die architektonischen Zeugnisse seiner Amtszeit hinzu. 1934 ließ sein Nachfolger Willy Liebel von der NSDAP auf Betreiben von Gauleiter Julius Streicher das erst 1925 bis 1927 von Otto Ernst Schweitzer errichtete Planetarium am Rathenauplatz niederreißen. Der Kopfbau der Hauptpost entging diesem Schicksal. Architekt Max Kälberer, der nach dem Krieg den Wiederaufbau der Kraftshofer Wehrkirche und den Neubau der Markuskirche in Gibitzenhof verantwortete, sollte den Bau stattdessen im Sinne einer „Neuen Deutschen Baukunst“ abändern. An Stelle der Fenster zur Schalterhalle fügte Kälberer historisierende Rundbogenarkaden ein, die Fassaden versah er in Anbiederung an die gegenüberliegende Stadtmauer mit Sandsteinvorsatzplatten, die Fenster erhielten eine traditionelle Teilung, das Flachdach verwandelte er in ein weit überstehendes, flach geneigtes Walmdach. Kälberers konservativer Überwurf wirkte etwas hilflos wie so viele Maßnahmen, mit denen die Nationalsozialisten versuchten, missliebige Architektur im Sinne ihrer Kunstpolitik zu verbrämen. Auch die bronzene Monumentalskulptur des Reichsadlers, die man nach der offiziellen Einweihung 1935 an der Ecke zum Bahnhofsplatz installierte, änderte daran wenig.

 

 

Hauptpost: im Bau 1933 © Stadtarchiv Nürnberg

Hauptpost: nach der Fertigstellung 1935 © Stadtarchiv Nürnberg

Bahnhofsplatz 1935-43 M. Rupprecht. Sammlung Sebastian Gulden

Aufnahme 1935-45. Sammlung Sebastian Gulden

Bahnhofsplatz 1933-34 Liebermann & Co. Sammlung Sebastian Gulden

Auf die Hybris folgte die Zerstörung: Im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges erlitt der Kopfbau der Hauptpost schwere Schäden. Nach Kriegsende gehörte das Gebäude 1947 ob seiner Bedeutung für die Infrastruktur und das Stadtbild zu den ersten öffentlichen Bauten, die wiederhergestellt wurden. Die Entwürfe dazu fertigte Anton Ebner. Schon 1951 konnte der Kopfbau zum zweiten Mal in seiner wieder seiner Bestimmung übergeben werden.

 

Ebners Überarbeitung des beschädigten Außenbaus, bei der die Adlerskulptur, die Beschriftung in Frakturschrift verschwanden und der Dachüberstand merklich reduziert wurde, lässt sich auf mindestens dreierlei Arten lesen: als Vereinfachung aus rein funktionalen Gründen, als demokratisierte ästhetische Neuformulierung belasteter Nazi-Architektur oder als schamhaftes Verdecken der braunen Vergangenheit des Bauwerks. All das kam in der Zeit des Wiederaufbaus in zahlreichen Varianten und an vielen Bauwerken vor.

Bahnhofsplatz 1951-55. Sammlung Sebastian Gulden

Bahnhofsplatz 1955-65. Sammlung Sebastian Gulden

Bahnhofsplatz 1951-57. Sammlung Sebastian Gulden

Die Privatisierung der Bundespost bedeutete den Anfang vom Ende der Nürnberger Hauptpost, die mit ihrem personalintensiven Beamtenapparat und der teils veralteten Technik dem neuen Leitbild von Effizienz und Gewinnorientierung im Wege stand. Ab den 1990er Jahren stand das Gebäudeensemble am Hauptbahnhof leer. Die Arkaden im Erdgeschoss wurden – obwohl die Postfiliale weiterhin in Betrieb blieb – zum Treffpunkt für Obdachlose und Junkies, eine Entwicklung, die nicht wenige später der Architektur des Gebäudes ankreideten.

 

2013 sah die Stadt dann die Chance gekommen, dem Bahnhofsplatz eine Rundumerneuerung und ein positiveres Image zu verpassen. Als Leuchtturmprojekt sollte der Hotelneubau dienen, den die neue Eigentümerin der Gebäudegruppe, die Hubert-Haupt-Immobilien-Holding aus München, an Stelle des Kopf- und des im Osten angrenzenden „Verbindungsbaus“ aus den 1970er Jahren errichten wollte. Aus dem Architekturwettbewerb um die Neubebauung ging der Entwurf von Max Dudler Architekten, Berlin, als Siegerin hervor. Die beiden kubischen, wieder mit Natursteinvorsatzplatten verkleideten Türme des „Tafelhof Palais“ sollen die Arkaden des Vorgängerbaus wiederaufnehmen. Nur der unter Denkmalschutz stehende „Rundbau“ aus den 1920er Jahren ist – allerdings innen mit Ausnahme der Treppenhäuser völlig entkernt – zum Erhalt vorgesehen und soll ebenfalls zum Hotel umgebaut werden.

 

Der Aufschrei in der Bevölkerung hielt sich in Grenzen. Das schlechte Bild, das viele Nürnbergerinnen und Nürnberger von ihrer Hauptpost hatten, war stärker als die offenbar schwer vermittelbaren architektonischen und städtebaulichen Qualitäten des Bauwerks. Dennoch nahm die Stadtbild-Initiative Nürnberg den Kampf um das Wahrzeichen auf. Der Vorschlag an den Investor, das Gebäude zu sanieren und umzunutzen schlug dieser mit der Begründung aus, dass das Gebäude zu tief und mithin nur unzureichend zu belichten und die Bausubstanz schadhaft sei. Eine Petition pro Erhalt scheiterte an zu geringer Resonanz, und auch das  Bayerische Landesamt für Denkmalpflege konnte sich der Wertschätzung für das Bauwerk nicht anschließen. Zweimal beschied es den Antrag auf Denkmalschutz ablehnend. Die Begründung: Der Kopfbau weise aufgrund der Kriegsschäden zu viele Störungen in der Substanz auf.

 

Das ist umso erstaunlicher, als die Fachwelt dem Kopfbau durchaus einen hohen geschichtlichen, architektonischen und städtebaulichen Wert zumaß. Keine Publikation über jüngere Nürnberger Architektur und insbesondere über die Baumaßnahmen der Ära Luppe und der Zeit des Nationalsozialismus, in der der Kopfbau der Hauptpost fehlt. Bei den Begehungen zeigte sich, dass nicht nur der Außenbau, sondern auch die Innenräume im Wesentlichen im Zustand von 1951 erhalten waren, selbst Bauteile und künstlerisch gestaltete Reliefs der 1930er Jahre fanden sich noch in bester Erhaltung an.

Nun ist das Baudenkmal, das im rechtlichen Sinn keines sein durfte, endgültig verschwunden. Nicht wenige Stimmen, die zunächst mit scharfer Zunge die Freunde des alten Kopfbaus für deren vermeintliches Verharren im Gestern kritisiert hatte, sind verstummt, manche haben mit Veröffentlichung des Siegerentwurfes für die Neubebauung unverhofft die Seiten gewechselt. Allein, zu spät.

 

Die Zeit wird zeigen, ob der Hotelneubau, der bis 2021 an seiner Stelle entstehen soll, in einigen Jahrzehnten ebenfalls Zankapfel zwischen Investor, Fachwelt, Stadtverwaltung, Bevölkerung und Denkmalpflege werden wird. Und ob er dann auch so bedenkenlos dem vermeintlich besseren Neuen geopfert wird wie sein Vorgänger.

BESTANDSAUFNAHME

Folgende Aufnahmen entstanden in den Jahren 2011 bis 2018
  • Fassaden

  • Innenansichten

ABBRUCH

NEUBAU

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Entwurf by www.maxdudler.de

Veröffentlicht am 20.09.2018 von Jonathan Danko

Comments

  • Ich fand dieses alte Post-Gebäude schon prägend und erhaltenswert für das Stadtbild. Dieser neue Entwurf wirkt teilweise fremd an dem Ort. Zudem ist es ein schlichter 0-8-15-Baukasten wie in anderen Städten – das langweilt mich.

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