Haus mit Garten

  • Text - Manuel Fromm | Images - Jonathan Danko Kielkowski

Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen als Jo mir voller Enthusiasmus vorgetragen hat er habe eine Zeitkapsel gefunden. Vor meinem geistigen Auge stiegen sofort Bilder von einer übermotivierten Lehrerin, die versucht ihre pubertierende siebte Klasse dazu zu bewegen irgendwelche Memorabilien in Kisten zu packen und irgendwo zu verbuddeln. Keiner hat Bock. Allen ist es scheißegal. Die Zeitkapsel ist aber größer als eine im Boden vergrabene Schachtel. Meine Gefühle stiegen von gleichgültig zu interessiert. Es ist ein Haus. Interessiert zu erwartend. Was seit Mitte der 90er leer steht. Von erwartend zu begeistert-1. Und noch komplett eingerichtet ist. Begeistert. Nur halt abgefuckt. Begeistert +1.

Bitte, bitte Auto halte durch. Es ist kalt und regnet, nicht in Strömen, aber ausreichend um innerhalb kurzer Zeit unangenehm nass zu werden. Mein Auto hat es sich zur Gewohnheit gemacht mir in den ungünstigsten Situationen den Dienst zu verweigern. Während der Hauptverkehrszeit auf einer Hauptverkehrsader. An einem Hang. Mitten in der Nacht nach einem Termin, wenn man einfach nur nach Hause will. Als würde es mich fragen, ob es nicht doch so langsam Zeit wäre es in Rente zu entlassen. Wahrscheinlich handelt es sich einfach nur um irgendeinen Sensor, der im Arsch ist. Da kenne ich mich nicht aus. Ich finde meine Vorstellung schöner. Auf jeden Fall hat uns der Alte diesmal zumindest ans Ziel gebracht.

Hinter eines Zaunes Maschen,
umhüllt von einem Ring aus Wald,
liegt so scheint es ganz verlassen,
jetzt ist mir irgendwie doch kalt.
Ich fange an mich selbst zu hassen.
Für den Scheiß bin ich zu alt,
warum hab‘ ich mein Pulli nicht angelassen?
Da muss ich jetzt durch. So ist das halt.

Hinter eines Zaunes Maschen,
liegt so scheint es ganz verlassen,
umhüllt von einem Ring aus Wald,
ein kleines Häuschen, superalt.
Rechts daneben finden wir,
der Garage offne Tür,
leider zeigt das künstlich Licht,
nur Gerümpel, mehr gibt‘s nicht.

Das Werkzeug könnte man benutzen,
man müsste es vorher nur putzen.
Die Räder, lange nicht geritten.
Oh Skier, ich hätte gern einen Schlitten.
Stühle sind hier nach dem Haufen,
prinzip sauber aufgelaufen,
daraus könnt‘ ich einen bauen,
fällt das dann hier unter Klauen?

Die Garage ist besichtigt,
weiter geht‘s, doch eins ist wichtig:
Leise sein, das müssen wir,
oh, da steht ne Flasche Bier,
leider ist sie leer seit Jahren,
egal ich muss ja eh noch fahren.
Die nächste Türe offenbart,

eine Toilette? Draußen? Ist das euer Ernst? Seid ihr egal bei welchem Wetter draußen auf die Toilette gegangen? Auch im Winter bei Minusgraden? Jetzt weiß ich endlich wo der Ursprung der Redewendung „sich den Arsch abfrieren“ herkommt. Phahaha.

Wenn ich so meine bisherigen Erfahrungen betrachte, die ich mit Türen gemacht habe, stelle ich fest, dass ca. 90% Prozent der Türen, die ich während meiner bisher verlebten Lebenszeit durchschritten habe nach demselben Algorithmus zu bedienen waren: Falls vorhanden, Türknauf herunterdrücken, leichtes Ziehen oder Schieben, Tür dreht sich um eine vertikale Achse und gibt den weiteren Weg frei. Mal abgesehen von Spezialfällen wie Drehtüren, Luken oder Flügeltüren stellt der gerade beschriebene Weg das normale Prozedere dar. Ich stehe also vor einer ganz normalen Türe und leite deren Öffnung durch den mir bekannten Weg ein. Nichts passiert. Mir ist das Vorhängeschloss mit welchem der Zugang gesichert ist entgangen. Zum Glück hat der Zahn der Zeit für ein Entfernen in ausreichender Weise an diesem genagt. Das Schloss ist entfernt. Neustart. Ich stehe also vor einer ganz normalen Türe und leite deren Öffnung durch den mir bekannten Weg ein. Nach dem Bedienen des Türknaufes und einem leichten Druck, drehte die Türe sich um die horizontale Achse. Das machte mich stutzig.

Leitern sind da um beklettert zu werden. Egal welches Level an Zerfall sie erreicht haben. Die kopulierenden Fleischwölfe lenken meine Aufmerksamkeit nur kurz von der Leiter auf den Dachboden ab. Willst du da wirklich rauf gehen? Wollte ich noch fragen, da war Jo schon in dem dunklen Loch verschwunden. Die Leiter ist offensichtlich noch trittfest. Ich schaue mich im Vorraum des Hauses um. Alte halb zerfallene Schränke werden von dem Licht, welches durch das eingefallene Dach scheint, beleuchtet. Zerfall kann wunderschön sein. Meine Aufgabe ist es alle Türen aufzumachen und deren Inhalt zu bestaunen. In den Schränken finde ich nur noch mehr Verfall…und Werkzeug. Jede Menge Werkzeug. Hier nimm mal. Und ich umarme einen riesigen Glasballon. Der Dachstuhl gibt seinen Unmut über das zusätzliche Gewicht an ungewohnten Stellen preis. Die Trittfestigkeit der Leiter wird ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Die nächste Türe geht auf gewöhnlichem Wege auf und wir gehen weiter in das eigentliche Haus.

 

Der Geruch von Fäulnis schlägt mir ins Gesicht. Ich weiß was das bedeutet. Das Gewicht des Schwertes in meiner Hand gibt mir Sicherheit. Sie, die keinen Namen tragen, nehmen langsam Gestalt an. Ich mache mich bereit. Sie kommen auf mich zu. Der Kampf ist kurz und ereignisarm. Ich weiß wie man mit Untoten umzugehen hat. Sie zerfallen zu Erde. Übrig bleibt nur ein kleiner Briefumschlag. Der Staub legt sich und gibt die Sicht auf die Innenräume des Hauses frei und ich werde abgelenkt. Es ist komplett eingerichtet. Es ist komplett eingerichtet? What? Es hat fast den Anschein, dass die Bewohner von Ufos entführt wurden und das bis heute keiner gemerkt hat. Die Abwesenheit von künstlichem Licht und das aus den Löchern in der Decke tropfende Wasser tragen zu einer leicht höhligen Atmosphäre bei. Wie lange dauert es eigentlich bis Stalaktiten entstehen? Mir ist sau kalt Ich hüpfe zwecks Wärmegewinnung auf und ab. Jo schießt Bilder mit Langzeitbelichtung. Hoffentlich sind die nicht verwackelt dann.

Unter den Augen von JFK machen wir die ersten Schränke auf. Wir müssen in alle Schränke schauen. Es geht nicht, dass wir nicht in alle Schränke schauen. Bevor wir nicht in alle Schränke geschaut haben, können wir hier nicht weg. Schränke. Schränke. Schränke. Das ist das kitschigste Geschirr, welches ich jemals gesehen habe. So was hatte man damals ernsthaft auf dem Tisch oder war die Definition von Kitsch damals anders? War das überhaupt wichtig. Vielleicht war für die Personen aus den 50ern normales Geschirr aus den 20ern kitschig. Ist Kitsch eine Erfindung der Neuzeit? Kann es sein, dass…Der Blick fällt auf eine wichtig aussehende Metallkassette. Ich würde mich gerne hinsetzen, aber der Platz auf dem Sessel ist von Überbleibseln, der sich langsam gen Boden auflösenden Decke, besetzt. Schon krass was 30 Jahre Leerstand mit einem Haus anstellt. Wie lange es wohl dauern würde bis die Natur das Grundstück restlos zurückgewonnen hat?

Der Widerstand, den die Metallkassette uns bei einem Öffnungsversuch entgegenbringt ist unspektakulär, der Inhalt leider auch. Obwohl, aus den Daten der Grußkarten, die die Kassette offenbart kann man schließen, dass das Haus wohl seit Mitte der 90er nicht mehr bewohnt ist. Und der Personalausweis…darf ich mir nach der neuen DSGVO ungefragt einen Personalausweis anschauen? Wahrscheinlich egal, wenn keiner mehr da ist der über die unsachgemäße Handhabe seiner Daten meckern kann.

Das Herz des Hauses ist vertrocknet. Zumindest das Lebkuchenherz des Hauses. Die verbleibenden Bewohner sitzen abgeschlagen auf den vermodernden Sitzgelegenheiten. Vielleicht sind alle Glaubensrichtungen falsch und man wird nach dem Ableben in eine Puppe transformiert, welche über das zu Lebzeiten angehäufte Hab und Gut wacht. Notiz an mich „diesen Gedanken ausarbeiten und eine neue Religion gründen“. Mein Wunsch nach einer wärmenden Decke wird partiell erhört. Der Putz über mir gibt sich der Schwerkraft hin und ich fange an zu husten. Die Eigenschaft „wärmend“ ist in meiner Anfrage wohl untergegangen. Nippes und Geburtstagskarten stapeln sich auf der Anrichte. Wenn man alt ist hat man oft Geburtstag gehabt. Bekommen alte Leute hauptsächlich Nippes zu Geburtstagen? Wenn sich meine Erfahrungswelt auf diesen Moment beschränken würde, könnte fast der Eindruck entstehen. Ich sehe davon ab von dem Schnaps zu kosten, auch wenn das mein Wärmeproblem zumindest illusorisch lösen würde. Wie viele Fotos willst du noch machen? Wann können wir endlich gehen? Meine Laune sinkt rapide.

Menschen kommen und gehen. Meist hinterlassen sie keinen bleibenden Eindruck. Die Erinnerung verblasst im Laufe der Generationen. Was sich herausdestilliert sind die großen Ereignisse die unabhängig von den individuellen Lebenswegen betrachtet werden. Vielleicht hat man noch eine Ahnung was die eigenen Großeltern so in ihrem Leben getrieben haben. Bei den Urgroßeltern hört es zumindest bei mir schon auf. Ich habe seit Generationen Imker in der Familie, das verbinde ich mit meinen Urgroßeltern. Abgesehen davon weiß ich nichts über diese Generation. Was bleibt übrig, wenn man in niemandes Erinnerung fortlebt. Hat man seinen Beitrag als kleines Zahnrad in der Maschinerie des Fortschritts geleistet. Und wozu das Ganze eigentlich. Wir finden heraus, dass der Mann, der mal hier gewohnt hat lange als Vorarbeiter bei der Bahn gearbeitet hat. Diese Information wird von uns als interessant aufgenommen, aber letzten Endes ändert das auch nichts. Die ehemaligen Bewohner sind immer noch tot und die Erinnerung wird genauso wie ihr ehemaliges Häuschen nach und nach verblassen. Warum sich also überhaupt damit beschäftigen. Vielleicht um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass man auf viel Komfort unserer modernen Welt verzichten kann? Wir werden immer abhängiger von unseren elektronischen Gehirnen. Was machen wir, wenn die Heizung ausfällt, oder das fließende Wasser, oder der Strom. Wo bekommen wir zu essen her, wo zu trinken. Hat irgendwer noch die Fähigkeiten sich selber zu versorgen oder sind wir mittlerweile so angepasst, dass wir auf uns alleine gestellt nicht überleben würden. Eingewecktes Obst steht immer noch in der Vorratskammer. Der Kohlenkeller ist leer, genauso wie die Hasenställe. Alles Zeichen einer verlorenen do-it-yourself Generation. Ja das ist es. Was für frühere Generationen selbstverständlich war, müssen wir uns mühsam wieder beibringen.

Wir überlassen das Gelände seinem weiteren Verfall. Für uns hat es seinen Zweck erfüllt. Hoffentlich springt mein Auto an. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels ist das Haus bereits abgerissen. Die Seele des Ortes wurde konserviert.

ZUM ZEITPUNKT DER VERÖFFENTLICHUNG DIESES ARTIKELS IST DAS HAUS BEREITS ABGERISSEN. DIE SEELE DES ORTES WURDE KONSERVIERT.

Veröffentlicht am 18.06.2019 von Jonathan Danko

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