Hotel Deutscher Hof

Germany | Development | 2012-2016

  • Text - Sebastian Gulden | Photos - Jonathan Danko Kielkowski

Der Deutscher Hof

Wiederauferstanden

Zentral, verkehrsgünstig, nah am Puls der Stadt – das sind die Eigenschaften, die ein gutes Stadthotel ausmachen. Das ist heute so und das war vor über einem Jahrhundert nicht anders. Auch nicht beim Deutschen Hof, der 1912 bis 1913 am Nürnberger Frauentorgraben errichtet wurde. Obschon hier mittlerweile seit über einem Jahrzehnt niemand mehr logiert, assoziieren die Nürnberger mit dem imposanten Bau bis heute den Hotelbetrieb – und seinen wohl berüchtigtsten Stammgast. Doch dazu später.

 

Tatsächlich war das Hotel im Deutschen Hof eine Notlösung. Entstanden ist das Gebäude als Vereinsheim der Nürnberger Lehrerschaft. Die fasste um die vorletzte Jahrhundertwende den ehrgeizigen Plan, sich ein eigenes Clubhaus mit Bibliothek, Gesellschaftszimmern und zwei Sälen für kulturelle Veranstaltungen und Feste anzuschaffen, die sich in der Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreuten.

 

Nach mehreren Jahren der erfolglosen Suche nach einem passenden Grundstück – eine Parzelle an der Tuchergartenstraße im Maxfeld war den Lehrern zu abgelegen erschienen – gelang dem Verein Lehrerheim schließlich doch der große Coup. Er konnte sich eines der Filetstücke am südlichen Teil der Ringstraße, gleich westlich des gerade acht Jahre zuvor eingeweihten Stadttheaters (des heutigen Opernhauses) sichern. Das Grundstück, auf dem vormals der Westflügel des alten Krankenhauses gestanden hatte, befand sich anno 1911 im Besitz der Stadt. Die Sache hatte allerdings einen Haken: die hohen Kosten für den Erwerb des Grundstücks und nicht zuletzt für den Bau selbst. Denn die Nürnberger Stadtspitze verlangte an diesem neuralgischen Punkt eine Architektur, die dem Rang einer weltstädtischen Promenade gebührte.

 

Die finanzielle Lösung: ein Hotel der gehobenen Komfortklasse mit Café, Billardsaal und Restaurant, das neben der Vermietung der Säle dem Verein allzeit volle Kassen bescheren sollte. Die baukünstlerische Lösung: ein fähiger Architekt von Rang, den der Verein Lehrerheim in der Person von Hans Müller (1864–1951) fand. Der hatte beim Bau des Brauhauses Nürnberg in der Schillerstraße (1895) und der Privatbank Kohn in der Königstraße (1910) schlagend unter Beweis gestellt, dass er Baukunst weit über dem Durchschnitt zu schaffen im Stande war. Der Auftrag sollte sich für ihn jedoch als harte Geduldsprobe erweisen, denn der äußerst vorsichtige, auf Sparsamkeit, aber auch auf Fairness bei der Vergabe der Gewerke bedachte Vereinsvorstand ließ so ziemlich jedes Detail – vom Teppichbelag bis zum Klorollenhalter – durch eigens geschaffene, nur mit Laien (!) besetzte Gremien diskutieren und beschließen.

 

Müller platzierte den Hoteltrakt prominent vorne am Frauentorgraben, sodass die besten Zimmer gegen Norden direkten Ausblick auf die Silhouette der Nürnberger Altstadt und die Kaiserburg genossen. Um der Harmonie mit dem benachbarten Opernhaus und der Stadtmauer gegenüber willen wurden die Fassaden mit rotem Burgsandstein verkleidet. Der üppige, fantasievolle Bauschmuck mit Ornament- und Figurenreliefs und die beiden heute verlorenen Portici an den Hauptportalen schuf der Nürnberger Bildhauer Johannes Müller.

 

Die Kubatur des Bauteils belebten ein mehrstöckiger Kastenerker, offene Arkaden an der Gebäudeecke an der Einmündung Lessingstraße und eine reich gegliederte Dachlandschaft mit einer eckseitigen Dachterrasse auf Höhe des dritten Obergeschosses und zwei mächtigen Zwerchhäusern, die dem Gebäude seine charakteristische Silhouette verliehen. Die reiche Durchbildung und die malerischen Elemente dienten vornehmlich dazu, der eigentlich gewaltigen Baumasse eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen.

 

Das Vereinsheim der Lehrerschaft dagegen rückte Müller von der Promenade weg nach Süden an die Lessingstraße. Die Ausführung des Saalbaus und des Clublokals in den Formen des Heimatschutzstils und des Neubarock unterstrichen durch ihre intimere Wirkung die Funktion der Bauten als Orte der Zusammenkunft und des Vereinslebens. Das ebenfalls in Rotsandstein ausgeführte Erdgeschoss verband den Trakt gestalterisch mit dem Hotelgebäude am Frauentorgraben; die Obergeschosse waren im Kontrast dazu mit Rieselputz und hellem Anstrich versehen.

 

Die gediegene Ausstattung der beiden Säle, Gast- und Clubräume mit dunklen Möbeln und Lampen im Jugendstil ergänzten Felderstuck, ornamentale Wandbespannungen und Gemälde des Nürnberger Malers Karl Selzer. Den großen Saal im ersten Obergeschoss des Traktes an der Lessingstraße überspannte ein gewaltiges Tonnengewölbe. Was anmutete wie für die Ewigkeit gemacht, war tatsächlich eine vergleichsweise federleichte Konstruktion in Rabitzbauweise – was aus statischen und Kostengründen nur einleuchtete.

 

 

Ach ja, der berüchtigtste Stammgast! Das war Adolf Hitler, der den Deutschen Hof ab 1933 offiziell zu seinem persönlichen „Standquartier“ erkor. Seine häufige Anwesenheit – er residierte ab 1920 bei jedem Aufenthalt in Nürnberg im Hotel Deutscher Hof – verdanken wir indirekt dem Verein Lehrerheim. Der bewies aus wirtschaftlicher Sicht ein äußerst glückliches Händchen, als er nach mehreren Fehlbesetzungen mit dem geschäftstüchtigen Kriegsveteranen Johannes Klein einen Pachtvertrag abschloss. Politisch aber stand der gebürtige Elsässer selbst für damalige Verhältnisse sehr weit rechts und verkehrte in völkisch-nationalistischen Kreisen, die nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt Aufwind erhielten.

 

Ob dieser Verflechtungen nimmt es nicht Wunder, dass die NSDAP Begehrlichkeiten für den Deutschen Hof weckte. Hitlers willfähriger Handlanger, der Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel, beschrieb die Sachlage 1935 gegenüber dem Direktor der Siemens-Schuckert-Werke Oskar Ritter von Petri mit folgenden Worten:

 

„Die Tradition spielt beim Führer und bei der Partei eine so entscheidende Rolle, daß das Hotel Deutscher Hof nicht nur für alle Zukunft der Nürnberger Wohnsitz des Führers bleiben wird, sondern daß die Partei selbst auch besonderes Gewicht darauf legt, Eigentümer und Hausherr dieses Hotels in der geplanten erweiterten Form zu werden.“

 

Durch Unterstützung des mittelfränkischen Gauleiters Julius Streicher gelang es der NSDAP 1935 tatsächlich, den Deutschen Hof als Eigentum zu übernehmen. Ob der Verein Lehrerheim dem Verkauf aus freien Stücken zustimmte oder unter Zwang stand, ist nicht bekannt. Immerhin durften die Lehrer ihr Vereinsheim auch weiterhin als Mieter nutzen. Ironischerweise ging die Sache ausgerechnet für den stramm-rechten Pächter schlecht aus: Eine eigens gegründete Betriebsgesellschaft übernahm die Leitung des Hotels und seiner Gastronomie und stellte Johannes Klein geradewegs aufs Abstellgleis.

 

Mit der „geplanten erweiterten Form“ spielte Liebel auf den Ankauf des westlich benachbarten Anwesens, die Nürnberger Verwaltungszentrale der Siemens-Schuckert-Werke, an. Auch diesen Prachtbau, 1923 nach Plänen von Hans Hertlein vollendet, rissen sich die Nazis unter den Nagel. Als Ersatz erhielt Siemens-Schuckert drei Grundstücke am heutigen Richard-Wagner-Platz, auf denen bis 1940 das Sigmund-Schuckert-Haus entstand. 1936 bis 1937 ließ Hitler den Erweiterungsbau des Deutschen Hofs nach Plänen von Franz Ruff im Stil des spröden Neoklassizismus umbauen und mit einem Altan versehen. Von diesem „Führerbalkon“ aus nahm der Diktator fortan die Paraden auf dem Frauentorgraben während der Reichsparteitage ab. Für die mediale Inszenierung des „Führers“ war das nur von Vorteil, denn in den Jahren zuvor hatte sich Hitler noch aus seinem Zimmerfenster im Altbau herauslehnen müssen, um von den johlenden Massen (und den Kameras) gesehen zu werden. So wurde der Deutsche Hof, wie auch das benachbarte Opernhaus, fester Bestandteil der Choreografie der Reichsparteitage.

 

Bei dem Umbau musste auch der Bauschmuck des „alten“ Deutschen Hofs Federn lassen: Die beiden Portici mit ihren bekrönenden Betonskulpturen und der nackte Putto, der auf der Eckterrasse an der Einmündung der Lessingstraße saß, mussten ersatzlos weichen. Der überkuppelte Dachreiter der Lessingsäle – er diente als Auslass der Lüftungsanlage – wurde während des Zweiten Weltkriegs wegen seiner Verkleidung aus Blech ein Opfer der Materialablieferungen an die Rüstungsindustrie.

 

Als sich am 2. Januar 1945 der britische Bombenregen über der Nürnberger Altstadt und Tafelhof ergoss, donnerten Sprengbomben in die Einmündung der Lessingstraße in den Frauentorgraben. Sie zerstörten den Nordflügel des Opernhauses. Am Altbau des Deutschen Hofes rissen sie die gesamte Gebäudeecke bis ins Kellergeschoss weg, der Neubau brannte aus. Der Schriftsteller und Lehrer Fritz Nadler wurde Augenzeuge des Untergangs:

 

„Es war ein sonnenklarer Herbsttag. Am frühen Nachmittag heulten die Sirenen. Dann kamen die Bomber. Nur zwanzig Minuten lang dröhnten bei diesem ersten Tagesgroßangriff die Explosionen. […] Auch am ‚Ring’ waren Bomben gefallen, Straßenbahnzüge aus dem Geleise gehoben, aufeinandergetürmt und ineinandergesplittert. Aus hundert Fenstern des ‚Führerhotels’ züngelten die Flammen. Eine teufelsschwarze Rauchsäule stieg zum wolkenlosen Himmel, von dem glutrot, wie mit Blut übergossen, der Sonnenball auf das Inferno herableuchtete […].“

 

 

Als ehemaliger Besitz der NSDAP ging der Deutsche Hof nach Kriegsende in das Eigentum des Freistaates Bayern über. Bis 1949 stritten die Nürnberger Lehrer für die Rückgebäude des Altbaus – mit Erfolg. Der Neubau dagegen blieb in Staatsbesitz und diente nach seinem Wiederaufbau als Sitz des Bundesamtes für Arbeit und als städtisches Arbeitsamt.

 

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Lehrer ihren Deutschen Hof längst wiederaufgebaut. Unter Leitung von Architekt Hans Albert Wilhelm war der Bau äußerlich in enger Anlehnung an den ursprünglichen Zustand instandgesetzt worden. Auf die reiche Dachlandschaft hatte man allerdings zugunsten einer optimalen Raumausnutzung verzichtet und aus dem nämlichen Grund auch die offenen Arkaden an der Einmündung der Lessingstraße zu Fenstern abgemauert.

 

An den Großen Saal kamen die Lehrer zunächst nicht ran: Das Land Bayern nämlich hatte diesen mitsamt dem Rückgebäude 1946 an den Schauspieler Karl Pschigode verpachtet, der darin das wohl bekannteste und opulenteste Nachkriegstheater der Stadt eingerichtet hatte – selbstverständlich mit einer gediegenen Inneneinrichtung, die sich eng an den klassizierenden „Dampferstil“ der NS-Zeit anlehnte.

 

Finanziell erwies sich das „Lessingtheater“ allerdings als Rohrkrepierer. Schon 1949 musste die Stadt die Pacht übernehmen, und 1959, als das neue Schauspielhaus am Richard-Wagner-Platz eröffnete, fiel im Lessingtheater nebenan der letzte Vorhang. Doch nicht nur die Theaterlandschaft stand in jenen Jahren massiv unter Druck. Auch für die Hotels bedeuteten der steigende Wohlstand und die im gleichen Maße steigenden Ansprüche der Gäste eine nie dagewesene Herausforderung. Im Deutschen Hof gab es fortan kaum ein Jahr, in dem nicht an irgendeiner Stelle modernisiert, erneuert und gebaut wurde – letztlich aber nur mit begrenztem Erfolg.

 

 

1975 bäumten sich Pächter Heinz Rübsamen und die Lehrerschaft noch einmal gegen die wirtschaftliche Schieflage auf, und das mit vollem Einsatz: Den Hotelzimmern verpasste man eine Generalüberholung und vor allem endlich private Bäder und Toiletten. Selbst der GröFaZ hatte seinerzeit stets Toilette und Bad „über den Gang“ benutzen müssen. Da die Kellerräume mit ihren modernen Betondecken alles andere als spektakulär waren, half Innenarchitekt Friedrich Feuerlein mit jeder Menge Hasendraht, Strukturputz und rustikaler Möblierung nach. Der „Bocksbeutelkeller“, jahrzehntelang Zuflucht von Opernbesuchern und Nachtschwärmern und Inbegriff rustikaler Wirtshausarchitektur der 1970er Jahre, war geboren.

 

 

Allein, alle Anstrengung war letztlich vergebens, der Beliebtheit der Hotelgastronomie und insbesondere der Säle, die über die Jahrzehnte geschätzte Location für Faschingspartys, Modenschauen, Kongresse und Tanzveranstaltung waren, zum Trotz. 1990 musste der Verein Lehrerheim nach 77 Jahren sein Haus schweren Herzens an die Maritim Hotelgesellschaft verkaufen und zog mit Sack und Pack um die Ecke in die Weidenkellerstraße 6 um. Doch auch die Maritim trennte sich schließlich 2004 von ihrer Neuerwerbung: Der gigantische Bau am Ring mit seinen gigantischen Sälen und vor allem gigantischen Instandhaltungskosten, er rentierte sich einfach nicht mehr.

 

In den folgenden Jahren geschah das, was die Nürnberger von anderen „schwierigen“ Großbaustellen im Weichbild ihrer Stadt kennen, etwa vom Postverladebahnhof an der Allersberger Straße, dem Milchhof oder der Hauptpost: Verfall und noch mehr Verfall, Zwischennutzungen, dann ehrgeizige Investoren mit noch ehrgeizigeren Plänen und am Schluss: außer Spesen nix gewesen.

 

 

Erst 2012 wendete sich das Blatt für den Deutschen Hof. Die Nürnberger terraplan-Gruppe um ihren Geschäftsführer Erik Roßnagel kaufte das Haus mit dem Ziel, es in Abstimmung mit dem Denkmalschutz zu sanieren und einer neuen, dauerhaften Nutzung zuzuführen. Die Pläne fertigten der Nürnberger Architekt Georg Hagen und das Büro Matuschek aus Heroldsberg.

 

Die nach dem Kriege ohnehin völlig umgekrempelten Binnenstrukturen musste man im Zuge des Umbaus weitgehend aufgeben. Nur die beiden Haupttreppenhäuser und das Foyer des Saalbaus mit ihrer prunkvollen Ausstattung im Geiste des Jugendstils blieben erhalten und wurden restauriert. Dafür erhielt der Hotelbau seine malerische Dachlandschaft – wenngleich in zeitgenössischer Interpretation – zurück.

 

Der Plan, auch die Lessingsäle in das Sanierungsprojekt einzubinden, zerschlug sich wegen der hohen Sanierungskosten und dem Mangel an Stellplätzen, die im Zuge der Umnutzung nachzuweisen waren. Damit verschwand 2014 einer der letzten großen Saalbauten des Nürnberg der Jahrhundertwende. An seiner Stelle errichtete terraplan die Wohnanlage „Opernpalais“, die die Kubatur des Vorgängerbaus zitiert.

 

 

Zentral, verkehrsgünstig, nah am Puls der Stadt – das sind auch die Eigenschaften, die ein gutes Bürogebäude ausmachen. So nutzt seit 2016, als der Deutsche Hof nach vier Jahren Planung, Sanierung und Umbau wiedereröffnete, die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) die Räume für ihre Verwaltung und für Schulungen. Eine Dauerausstellung im Foyer mit Fotografien und historischen Fundstücken informiert über die wechselvolle Geschichte des Hauses, von seiner Gründung über die dunklen Tage des Nationalsozialismus bis zu seiner Wiederauferstehung nach Jahren des Verfalls. Der Neubau nebenan wartet dagegen auf seinen Abbruch: An seine Stelle soll ein Hotel treten – ausgerechnet!

Veröffentlicht am 04.12.2019 von Jonathan Danko

Comments

Schreibe einen Kommentar zu René Antworten abbrechen